Sie haben irgendwann gelebt, und sind beide längst todt.
Ich weiß, dass auf ihren vergessenen Gräbern der Frühling wildert,
oder dass eine ahnungslose Weide sich über die steilen Tafelsteine neigt
und im Maiwind mit zagen Fingern über die Namen tastet, wie um sie zu lesen.
Die Schrift aber ist verweht und verwittert, und die gute Weide hütet die Namenlosen wie eine fremde Frau
zwei verirrte Kinder.
Sie liegen nebeneinander, weil sie im Leben lange beisammen waren,
weil schon im Licht jedem angst war vor dem Ganzalleinsein,
und weil es gut ist, im feuchten kalten Unten liebe Nachbaren zu haben.
Gerade jetzt wenn die Abendglocken wehn, und die dunkeln Wurzeln wie sonnengeweckte Kinder ihre braunen Arme dehnen, dehnen, greift vielleicht eine in die beide leisen Herzen hinein und thut zusammen, was auf Erden sich nie finden konnte; und im hellen Tag wird eine Blume draus.
Wie oft haben sie zusammen Blumen gebrochen.
Sie ging immer langsam mit lächelndem Schauen den weißen Wiesenpfad;
denn sie war viel älter,
und die Herren sagten ihr schon fünf Jahre Fräulein.
Darum konnte sie nicht mitten durch die Wiesenwellen laufen,
dem blassen zehnjährigen Knaben nach. Aber sie rief ihm irgendwann ein Wort,
lachte ihm ein Lachen zu,
oder kam,
wenn er über vielen Vergissmeinnicht mit hastenden Händen säumte,
licht und leise durchs Grün just auf ihn zu
wie ein echtes, goldenes Märchen.
Da kniete der Knab` ,
und die kleinen blauen Blumen flatterten wie erfüllte Wünsche aus seinen erschreckten Händen.
Die Weiße aber lachte ihn laut aus.
Und dann gabs großes Zürnen und Grollen bei dem blassen Knaben
über Schrecken und Spott
und über die armen Vergissmeinnicht.
Nicht lange freilich.
Auf einmal schlich der Kleine neben ihr, streichelte zag ihre Hand
und schenkte ihr soviel Blumen,
dass der Sommerhut der Gespielin randvoll war.
Das waren die schönsten Stunden für ihn.
Blumensuchen war so gut.
Man muss nichts erzählen dabei
und versteht sich doch mit jedem Blick
und muss nicht nebeneinander gehen
und findet sich doch in jeder Weile wieder,
und lachen kann man aus voller, heller Kehle,
dass es wie eine Rakete springt in den lichtzitternden Himmel.
Und das hatte der blasse Knabe so selten dürfen.
Kinder, die in ernsten, grauen Häusern aufwachsen,
lernen schwer lachen.
Sie hocken in den Ecken der kalten, hohen Stuben,
drin die Stühle so ernst
und alle Menschen so feierlich sind,
als ob sie immer in breiten goldenen Rahmen stünden.
Dunklen Augs staunen sie den Großen nach,
die mit unverständlichem Eifer an ihnen vorübergehen
und niemals ein Lächeln in die tiefen Zimmer mitbringen,
selbst wenns draußen Frühling ist.
Und kommt dann selten wie ein Sonnenstrahl,
ein jubelmuthiger Mensch aus der hellen Welt in die frierende Stille,
so wogt Alles in den einsamen Kindern diesem Neuen zu
und wiegt
und schmiegt sich
an ihren seligen Sinn wie das Morgenmeer an die tagende Küste.
So hatte der Knab´ die blonde Gespielin gefunden.
Sie trug den ganzen Jubel des verklärten Weibes in sich.
Sie war in der Zeit, wo jede wird wie eine wunderthätige Madonna,
reich und gebend,
und geweiht durch die Schauer der Leidenschaft.
Das sind die Tage des Traums:
Die Augen grüßen über alle Grenzen hin
das leuchtende Wunderland,
die Lippen athmen Liebe aus allen Lüften,
und in den weißen segnenden Händen ist ein Rosengefühl.
Und die Stimme klingt immer wie tief aus dem Mai,
und das Lachen singt silbern wie das Kieselkichern des Bachs,
dort,
wo es am Einsamsten ist.
Der Name Rilke
Danke- nachdenkenswert....